Issa / Mirrianne Mahn. – Hamburg : Rowohlt, 2024. (978-3-498-00390-6).
Erhältlich auch als E-Book unter www.dibiost.ch
Mirrianne Mahn wurde 1989 in Kamerun geboren, aufgewachsen ist sie mit ihren deutsch-kamerunischen Eltern und ihren beiden Geschwistern in Deutschland. Sie ist Politikerin, Aktivistin, Theatermacherin und Autorin.
Issa ist der erste Roman von Mirrianne Mahn und erzählt die Geschichte einer afrikanischen Familie in einem ehemals kolonialisierten Land, in der starke weibliche Figuren im Vordergrund stehen.
Issa wurde 2006 ungeplant von ihrem Freund schwanger. Sie ist, durch ihre Abstammung, von je her zwischen dem Leben der Familie ihrer Mutter in Kamerun und ihrem Leben in Deutschland hin und her gerissen. Ihr deutscher Partner behandelt sie schlecht und mit ihrer Mutter streitet sie sich häufig. Unter dem Druck der Familie reist sie überstürzt zur Vorbereitung der Geburt ihres Kindes nach Kamerun. Die Rituale zum Schutz und für eine gute Zukunft des noch ungeborenen Kindes ihrer noch traditionell lebenden afrikanischen Familie muten Issa zunächst fremd und skurril an. Mehr und mehr aber kommt sie durch das entschleunigte Leben zu sich selbst und kann eine Entscheidung treffen, wie sie in Zukunft leben will.
Parallel dazu erzählt Mahn die Geschichte von Issas Ur- und Ururgrossmutter im von Kolonialmächten besetzten Kamerun Anfang 20. Jahrhundert. Enanga, ihre Urur-Grossmutter, wurde 1903 im Alter von 12 Jahren von ihrem deutschen Arbeitgeber geschwängert und musste vor ihrer Familie flüchten, um sich und ihr ungeborenes Kind zu schützen. Ein ähnliches Schicksal ereilte ihre Grossmutter und Urgrossmutter. Eindrücklich, in einzelne Kapitel gegliedert, beschreibt Mahn die Schicksale der fünf Frauen in einer männerdominierten Welt. Ausgrenzung, Gewalt, Flucht und Hunger bestimmten das Leben von Issas Ahninnen. Ihre Mutter Aduele heiratete einen Deutschen und zog mit ihm nach Deutschland, um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Issa aber stösst immer wieder an vermeintliche Grenzen ihrer eigenen Zugehörigkeit. Geboren in Kamerun, aber in der frühen Kindheit nach Frankfurt gezogen, fühlt sie sich in Deutschland durch den Alltagsrassismus unwohl. Gleichzeitig sind ihr viele Bräuche und Eigenheiten in Kamerun fremd. Sie empfindet sich als zu schwarz in Deutschland und zu weiss in Kamerun.
Der Stil von Mirrianne Mahn ist leicht, Issas Geschichte humorvoll, doch sind die Zeilen der Vorfahrinnen schwer. Das Buch greift sehr viele Themen auf – deutsche Kolonialgeschichte, Polygamie, Generationenkonflikte, Identitätssuche, Emanzipation usw. – und zeigt deren Konsequenzen auf.
Kamerun wurde Ende 15. Jahrhundert kolonialisiert, erst von den Portugiesen, ab Ende 19. Jahrhundert von den Deutschen. Nach dem 1. Weltkrieg stellte der Völkerbund Kamerun als Mandatsgebiet unter den Schutz von Frankreich und Grossbritannien. Erst 1960 wurde das französische Kamerun unabhängig und 1961 dann auch das britische Kamerun, das 40 Jahre Teil von Nigeria war.
«Das Denken kann dir niemand beibringen, das musst du selbst erlernen. Denn dann kannst du deine Geschichte selbst schreiben. Du musst in die Vergangenheit schauen, um die Gegenwart zu verstehen, damit du deine Zukunft gestalten kannst.» Buchzitat, Seite 260.
Franziska Tschumi, Bibliothek Herisau