Man sieht sich : Roman / Julia Karnick. – München : dtv, 2024. (978-3-423-28391-5)
Erhältlich auch als E-Book unter www.dibiost.ch
Es ist nie zu spät für die Liebe – aber manchmal zu früh. Das Buch erzählt die Geschichte einer Liebe, die mehr als dreissig Jahre Anlauf braucht.
Sommer 1988. Friederika hat grosse Füsse, eine Lücke zwischen den Schneidezähnen und nennt sich Frie. Robert, neu an der Schule und schüchtern, verliebt sich sofort, aber zeigt es nicht. Ich habe Dich lieb schreibt sie ihm zum achtzehnten Geburtstag, aber was sie ihm damit sagen will, versteht Robert nicht.
Winter 2002. Frie ist Mutter einer kleinen Tochter, Robert ist Musiker. Nach Jahren der Funkstille und einer zufälligen Begegnung bestätigt sich: Wann immer die beiden aufeinandertreffen, wird es kompliziert.
Sommer 2022. Frie, inzwischen fünfzig und seit dem Ende ihrer letzten Beziehung wieder Single, fährt zum Klassentreffen. Mit dabei sind alle die Erinnerungen an Robert, den sie seit einer halben Ewigkeit nicht gesehen hat. Schnell merken die beiden, dass da immer noch etwas ist zwischen ihnen.
Friederike und Robert lernen sich Ende der 80er Jahre in der Oberstufe eines Flensburger Gymnasiums kennen. Sie ist Tochter aus gutbürgerlichem, wohlhabendem Elternhaus, er lebt mit seiner alleinerziehenden, kranken Mutter in einer kleinen Mietwohnung. Im Laufe ihrer verbleibenden Schulzeit freunden sich die beiden an, wobei Robert sich bald eingestehen muss, dass er rettungslos in Frie verliebt ist. Friederike hat andere Pläne, und für sie ist Robert der gute Freund und die Schulter zum Anlehnen, wenn ihr aufbrausender Vater tobt oder Liebeskummer sie plagt. Das Abitur naht, dann reist Frie als Au Pair nach Australien, Robert leistet in Hamburg Zivildienst und lernt dabei den alten Generalmajor Selk kennen. Somit gehen beide ihrer Wege, die sich jedoch immer wieder kreuzen. Mit den dabei beschriebenen Lebensabschnitten in verschiedenen Jahrzehnten schickt die Autorin die Leserinnen und Leser auf eine Zeitreise und schafft es damit mühelos, das jeweilige Lebensgefühl einzufangen. Gerade für die Generation, die selber in den Neunzigerjahren erwachsen geworden ist, lässt das Buch eigene Erinnerungen aus der Zeit hochkommen, und mit dem beigefügten Soundtrack zum Buch bekommt man ausserdem die Playlist dazu. Obwohl der Roman auch als Sommerlektüre angepriesen wird, ist stets eine dezente Melancholie auszumachen und es ist keineswegs eine profane und vorausschaubare Liebesgeschichte. Mit Fries Tochter Emma und Roberts väterlichem Freund Herr Selk werden auch Lebensfragen der Jugend und des Alters thematisiert, und sowohl Emma als auch Herr Selk haben ihre ganz eigene Sichtweise auf die Beziehung zwischen Frie und Robert.
Einfühlsam erzählt Julia Karnick von den Gefühlen und der Zerrissenheit der beiden, die sich Jahrzehnte schwertun werden, in ihren bewegten Leben zueinanderzufinden. Die Autorin erzählt hinreissend frisch von einer hartnäckigen Sehnsucht, die uns in jedem Alter aus der Bahn zu werfen vermag.
Ein mitreissend und liebevoll erzählter Roman übers Jungsein und Erwachsenwerden in den Neunzigern, über gelebte Träume und verpasste Gelegenheiten, und über eine neue Chance im Hier und Jetzt.
«Man sieht sich» ist der zweite Roman von Julia Karnick. Ihr erster Roman «Am liebsten sitzen alle in der Küche» ist im August 2022 erschienen.
Andrea Zürcher, Bibliothek Rehetobel