Der Bademeister ohne Himmel : Roman / Petra Pellini. – Hamburg : Rowohlt Kindler, 2024. (978-3-463-00068-8)
Linda ist fünfzehn und überzeugt davon, dass sie ihr junges Leben bald beenden wird, indem sie vor ein Auto läuft. Es gibt allerdings zwei Menschen, die sie noch davon abhalten, ihren Plan umzusetzen. Da ist zum einen ihr einziger Freund Kevin, den sie seit sechs Jahren kennt, der nebenan wohnt und daran verzweifelt, dass die Welt am Abgrund steht. Und dann gibt es Hubert, sechsundachtzig und an Demenz erkrankt. Dreimal wöchentlich verbringt Linda den Nachmittag bei ihm, um die polnische Pflegerin Ewa zu entlasten, die Huberts Tochter als 24-Stunden-Hilfe für den unheilbar Kranken angestellt hat. Hubert ist pensionierter Bademeister, der stolz darauf ist, dass in seinem ganzen Berufsleben nie ein Kind bei ihm ertrunken ist. Das ist ihm so wichtig, dass er sich daran länger erinnern kann als an alles andere, wie etwa an seine vor einigen Jahren verstorbene Ehefrau oder an seine Tochter.
Schwimmübungen im Trockenen
Während die Demenz Huberts Gehirn mehr und mehr zerstört, findet Linda einen spielerischen und feinfühligen Umgang mit ihm, begegnet der fortschreitenden Krankheit ganz natürlich und versucht, den alten Bademeister so am Leben zu halten. Linda macht es einfach wie Hubert. Sie schmeisst alles in einen Topf: Menschen, Jahreszeiten, Ereignisse, rührt einmal um und alles ist gut: Alle leben und nie ist jemand gestorben. Wenn allerdings gar nichts mehr hilft, um ihn aufzumuntern, holt das Mädchen die orangen Kinder-Schwimmflügel aus dem Keller und spielt Badeanstalt. Sie schwimmt durchs Wohnzimmer: Brustschwimmen, Rückenschwimmen, Kraulen, Delfin. Oder sie stapelt Brockhaus-Bände übereinander, steigt darauf, holt tief Luft, hält sich die Nase zu und springt vom Beckenrand. Auf die Idee, Strandbadaufnahmen zusammen mit Kevin zu machen, ist Linda besonders stolz. Von Kevins Cousin Adrian haben sie sich eine professionelle Ausrüstung geborgt und an drei Tagen im Schwimmbad Aufnahmen gemacht: am Kinderbecken neben der Rutsche, am Sportbecken und beim Wettschwimmen. Wenn das Mädchen die Tonbandaufnahmen in Huberts Wohnzimmer abspielt, erinnert der sich an seine Zeit als Bademeister und scheint glücklich zu sein.
Und wer kümmert sich um Linda?
Während die 15-Jährige neben Hubert auch deren Tochter, die polnische Pflegerin Ewa, Kevin, dessen Mutter und ihre eigene Mutter liebevoll unterstützt und tröstet, merkt niemand, wie schlecht es Linda selbst geht. Diese plagen immer wieder düstere Selbstmordgedanken und sie stellt sich ständig vor, wie es ist, wenn sie nicht mehr da ist. Unaufhaltsam schreitet Huberts Krankheit voran und auch Kevin zieht sich mehr und mehr zurück. Linda wird alles zu viel. Und dann schlägt das Schicksal zu…
Die Autorin Petra Pellini schreibt in ihrem Roman über eine Thematik, mit der sie sich bestens auskennt. Sie war lange in der Pflege demenzkranker Menschen tätig. Trotz der Schwere des Themas schafft sie es, die Geschichte, die auch vom Erwachsenwerden und von einzigartiger Freundschaft handelt, zwar melancholisch aber trotzdem mit sehr viel Humor und Wärme zu erzählen.
Miriam Hauschildt, Gemeindebibliothek Heiden/Grub