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Carolin Emcke, Gegen den Hass. – Frankfurt am Main : S. Fischer, 2016. (978-3-10-397231-3). Auch als E-Book erhältlich unter www.dibiost.ch.

Drohungen mit Unterschrift

Lamya Kaddor, deutsche Islamwissenschaftlerin mit syrischen Wurzeln, bekommt mit Namen und Adressen unterzeichnete Morddrohungen als Reaktion auf ihr Buch Die Zerreissprobe. Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht. «Die Mehrheit muss integrationswillige Menschen und deren in Deutschland geborene Nachkommen respektieren, und zwar auf Augenhöhe», lautet einer dieser Sätze, mit denen sie auf Widerstand stösst.

Neue Qualität der Schamlosigkeit

Carolin Emcke, Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels und Philosophin, befasst sich in Gegen den Hass mit dem gleichen – aktuellen – Thema: «Mich haben die Mechanismen der Ausgrenzung und die Raster des Hasses interessiert», erzählt sie in einem Videointerview mit Der Zeit. Die beiden anschaulichsten Kapitel in ihrem Buch behandeln die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit am Beispiel der Ankunft eines Busses mit Flüchtlingen im sächsischen Clausnitz und den institutionellen Rassismus am Beispiel einer Szene in New York, in der ein 43-jähriger Schwarzer von Polizisten zu Tode gewürgt wird. Das Phänomen, das in beiden Fällen zum Tragen kommt, zeigt, wie Tabus und soziale Übereinkünfte im täglichen Umgang miteinander nicht mehr greifen, wenn es darum geht, Rassismus, den es schon immer gegeben hat und immer geben wird, an den Rand zu drängen. Carolin Emcke sagt dazu, dass sie während der letzten Jahre nicht nur einen quantitativen, sondern vor allem einen qualitativen Sprung festgestellt habe: «Dieses ungeheure Selbstbewusstsein, mit dem Menschen zur Zeit glauben, in der Öffentlichkeit andere demütigen zu können … die Schamlosigkeit – glaube ich – ist neu.»

Freiheitliche Demokratie in Gefahr

Die Objekte des Hasses sind Menschen mit einer religiösen, ethnischen oder sexuellen Identität, die von der Norm abweicht. Obwohl wir in einer Epoche leben, die für Minderheiten ein noch nie dagewesenes Mass an Gleichberechtigung erreicht hat, ist das plurale Miteinander gefährdet. «Was wir im Moment erleben, das richtet sich nicht nur gegen Muslime, Migrantinnen und Migranten, Jüdinnen und Juden, das richtet sich gegen alle Demokraten, gegen alle, die eine liberale Gesellschaft verteidigen wollen», sagt die Autorin. Alle Menschen, die eine humanistische Vision von einer Gesellschaft haben, geraten unter Druck. Sie werden als «Gutmenschen» tituliert – oder, um ein konkretes Beispiel zu nennen, als «Bahnhofsklatscher», weil sie sich als zivilgesellschaftliche Akteure in Bahnhöfen für Geflüchtete engagieren und Unterstützung anbieten.

Herausforderung für unsere Gesellschaft

Carolin Emcke wurde dafür kritisiert, als Privilegierte – weit entfernt von den Menschen an den sozialen Rändern, den «Abgehängten», die sich von der Zuwanderung in ihrer ganz persönlichen Existenz bedroht fühlen – zu argumentieren. Es ist, so meine ich, eine der grösseren Herausforderungen unserer Gesellschaft, die Vorteile des pluralen Miteinanders auch für diese Menschen erlebbar zu machen. Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen, heisst es in unserer Bundesverfassung.

Heidi Eisenhut, Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden

 

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