Unsere monatlichen Tipps aus den Lokalzeitungen zum Nachlesen
Némirovsky, Irène. Der Ball. - Wien : Paul Zsolnay Verlag, 2005. (ISBN 3-552-05361-1)
Zur Autorin: Seit Romane und Erzählungen aus den 30er Jahren grosse Erfolge haben, graben immer mehr Verlage Texte aus der Vorkriegszeit aus. So der Wiener Zsolnay Verlag. Irène Némirovsky wird als Tochter eines reichen russisch-jüdischen Bankiers 1903 in Kiew geboren. Vor der Oktoberrevolution flieht die Familie nach Paris. Irène heiratet und bekommt zwei Töchter. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, flieht sie mit ihrem Mann und den Töchtern in die Provinz. 1942 wird sie verhaftet. Keine vier Wochen später stirbt sie in Auschwitz. Ihre Töchter Denise und Elisabeth überleben, fliehen bis zur Befreiung von einem Versteck ins andere. Denise hat das Manuskript ihrer Mutter buchstäblich durch ihr Leben getragen. Doch sie traute sich nicht, dieses letzte literarische Vermächtnis zu lesen - die Erinnerung wäre zu schmerzhaft gewesen. Erst vor einigen Jahren begann sie, das Manuskript, das ihre Mutter wegen Papier- und Tintenknappheit in winziger Schrift geschrieben hatte, mit der Lupe zu entziffern und abzuschreiben - die "Suite française" war wiederentdeckt.
Zum Buch: Im gedanklichen Kosmos von Antoinette, der 14jährigen Tochter, sind Hass-, ja fast „diabolische“ Gedanken gegenüber der Mutter im tiefsten Innern verborgen. Sie fühlt sich unverstanden, nicht geliebt. Rosine Kampf, die mit ihrem Mann, einem Börsenspekulanten, 1926 zu plötzlichem Reichtum gekommen ist, verkörpert eine Mutter, die eher einem Scheusal entspricht. Jetzt trägt Madame ein schweres Brillantarmband, das sie nur noch zum Baden ablegt, und die vierzehnjährige Tochter Antoinette wird von einer englischen Gouvernante erzogen. Die Mutter schikaniert Antoinette, in der sie unbewusst schon die weibliche Rivalin wittert, wo sie kann, und will ihr auch noch verbieten, an jenem grossen Ereignis teilzunehmen, das den gesellschaftlichen Aufstieg der Kampfs in Paris krönen soll: ein Ball. 200 Einladungen wollen die Kampfs verschicken, um „tout Paris“ ihren neugewonnen glanzvollen Lebensrahmen vorzuführen. Bei den Vorbereitungen zu diesem Ball nimmt ein Eifersuchtsdrama zwischen Mutter und Tochter seinen Anfang. Antoinette mit ihrer kindlich-schönen Handschrift darf die Couverts adressieren. Der Abend ist da: die herausgeputzte Wohnung glänzt, die Tafel mit all ihren Köstlichkeiten ein Augenschmaus für die Sinne, das Personal und die Musik warten gelangweilt. Mit Wonne verfolgt das Mädchen in ihrem Versteck die feixenden Bemerkungen ihrer Mutter zum Personal sowie die gegenseitigen Beschimpfungen der Ehepartner. Der erste Gast erscheint, die altjüngferliche Klavierlehrerin, die persönlich angesprochen war. Die Spannung steigt, die Gäste sollten schon längst da sein.....
Der kleine Band ist eine beissende Milieustudie über ehrgeizige Neureiche wie auch ein einfühlsames Portrait einer unglücklich Pubertierenden. Ein furioses, rasant erzähltes Stück, satirisch angehaucht.
Hannelore Schärer, Bibliothek Speicher Trogen
Ludwig, Sabine. Die schrecklichsten Mütter der Welt ; zum Selberlesen ab 8 Jahren und zum Vorlesen ; illustriert von Isabel Kreitz. - Hamburg: Dressler Verlag, 2009.
(ISBN 978-3-7915-1237-2)
Nach geschrumpften Lehrerinnen und dem immer wiederkehrenden 7. Sonntag im August, widmet sich Sabine Ludwig nun den schrecklichsten Müttern der Welt. In ihrem neuesten Buch, das Anfang Februar 2009 erschien, ersinnt sie eine turbulent, komische Geschichte.
Die Kinder Emily, Bruno und Sofia merken schnell, dass mit „Tante Anna“ irgendetwas nicht stimmt – doch bis sie herausfinden, was hinter dem Verschwinden ihrer Mütter steckt …
Bruno hat es nicht leicht. Ständig muss er zur Klavierstunde und hat überhaupt keine Lust dazu. Aber seine Mutter träumt von der grossen Pianisten-Karriere ihres Sohnes und ist davon überzeugt, dass Bruno ein einzigartiges Talent ist – mit dieser Überzeugung ist sie allerdings ganz allein auf der Welt. Am allerwenigsten glaubt Bruno selbst an sein Talent. Alle Versuche, die Mutter vom Gegenteil zu überzeugen, stossen auf taube Ohren.
Auch Emily leidet. Nicht genug, dass sie ohne ihren Vater auskommen muss, sie muss auch ständig auf ihre chaotische Mutter achtgeben. Und da ist noch Sofia. Sofia leidet sehr darunter, dass ihr kleiner Bruder Niklas das Engelchen und Sofia stets die Schuldige für die Mutter ist. Sie fühlt sich weder geliebt, noch verstanden und kann den verwöhnten kleinen Bruder kaum ertragen.
Dann werden die Kinder auf einen Wettbewerb aufmerksam, worin die schrecklichste Mutter der Welt gesucht wird*. Alle drei schicken namens ihrer Mütter einen Bewerbungsbogen an die „WMVA – Wohlfarths- Mütter-Verbesserungs-Anstalt“ ab. Walther Wohlfarth, ein ehemaliger Spielzeugfabrikant, plant Roboter zu den leidgeplagten Kinder zu schicken, derweil die Mütter auf Nordfall lernen sollen, was eine gute Mutter ausmacht. Und die Mütter glauben, einen Kuraufenthalt gewonnen zu haben.
Die „Tante Anna“, die sich den Kindern zuhause als entfernte Verwandte vorstellt, wird zunächst auch gern als Mutterersatz angenommen. Sie lächelt immer und stellt keine nervigen Fragen. Sie kann zwar nicht kochen, stellt aber allerlei leckeres, ungesundes Essen auf den Tisch und putzt selig den ganzen Tag vor sich hin. Doch dann machen ein paar Exemplare der Anna-Serie Fehler. Mehr möchte ich noch nicht verraten.
Fazit:
Mütter mögen ja bei diesem Titel -„Die schrecklichsten Mütter der Welt“- zusammenzucken, mit der bangen Frage auf den Lippen: meint das Buch etwa mich? Es gibt die Mütter mit Kontrollmacke, Dauerchaos, Öko-Fimmel, Klammer-Reflex und übersteigertem Ehrgeiz. Deshalb sind sie ja auch die schrecklichsten Mütter der Welt.
Sehr einfühlsam und gleichzeitig humorvoll weiss Sabine Ludwig die Dinge zu beschreiben und bleibt, trotz der oftmals sehr überspitzten Darstellung, nahe an ihren Lesern. Raffiniert ist auch ihre Idee, das Internet als fortlaufenden Handlungsstrang in die Geschichte zu integrieren. Durch die eMails, die sich die Kinder nach Abschluss ihres Abenteuers über die Internetseite zuschicken, werden eine ganze Reihe von Fragen zum Werdegang der einzelnen Akteure beantwortet. Auf diese Weise wird die Geschichte bis in den (wieder) ganz normalen Alltag fortgeführt. Letztlich kommt es im Kontakt zwischen den Kindern noch zu allerlei Tipps, wie man seine Mütter am besten erzieht – und wenn das nicht geht, geben sie sich gegenseitig moralische Unterstützung. Denn eines ist klar, auch eine Mutter kann nie ganz aus ihrer Haut.
* Unter www.schreckliche-muetter.de finden Sie weitere Informationen.
Franziska Bannwart, Gemeindebibliothek Heiden
Rausch, Jochen. Restlicht. - Köln : Kiepenhauer & Witsch, 2008.
(ISBN 978-3-462-04029-6)
„Der Bach kam aus dem Osten. Trinkt bloss nicht das Zeug da, hatte Petzold mal gesagt, die Kommunisten kippen da Gift rein! Überall gab es Schilder: Achtung, Lebensgefahr! Wirkungsbereich sowjetzonaler Minen! Und hinter den Schildern die Zäune. Und die Lichtmasten, der eckig aufragende Bunker, die Soldaten, die Wachhunde. Mike und ich waren schon als Siebenjährige in das Rohr geklettert, hatten uns damals nur ein wenig bücken müssen. Jetzt, mit sechzehn, mussten wir auf allen vieren durch die enge Röhre kriechen, um ins Innere zu gelangen.“
Nach dreissig Jahren kehrt der Fotograf Peter Blum aus Amerika in die kleine Stadt an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze zurück, wo er seine Kindheit und Jugend verbracht hatte. Sein Vater ist todkrank und es gilt Abschied zu nehmen. Was ihn jedoch treibt in diesen Tagen ist die Erinnerung an seine erste Liebe Astrid. Vor seinem Weggehen verschwand sie eines Abends spurlos. Wochenlang suchte er mit ihrem Vater zusammen verzweifelt nach ihr, bevor er die Brücken zu seiner alten Heimat abriss und nach Amerika ging. Vergessen konnte er Astrid nie. Immer noch quält ihn die Frage nach ihrem Verbleiben. Lebt sie überhaupt noch?
Zurück in der alten Heimat erfährt er, dass in einem Rohr in der ehemaligen Grenzzone ein weibliches Skelett gefunden wurde. Hier hatte er sich früher oft mit seinen Freunden aufgehalten. Wer ist die Tote? Ist es Astrid? Er macht sich erneut auf eine gefährliche Spurensuche in der nicht so guten alten Zeit. Oft fällt nur ein „Restlicht“ auf lange zurück liegende beklemmende Begebenheiten. Als er seine früheren Freunde mit seinen Nachforschungen konfrontiert, stösst er auf eine Mauer des Schweigens und auf Ablehnung. Eine alte Fotografie bringt ihn schliesslich auf die Spur von zwei Kriminalfällen. Immer mehr Mosaiksteine fügen sich zu einem Bild, das erahnen lässt, was damals wirklich geschah, als der Fotograf und Astrid ein Liebespaar waren.
Jochen Rausch ordnet in seinem Buch Vergangenheit und Gegenwart geschickt nebeneinander an und erzählt aus verschiedenen Blickwinkeln vom Leben der jungen Leute an der deutsch-deutschen Grenze in den Siebzigerjahren, von lauter Musik, von der ersten grossen Liebe und von Verrat. Dabei gelingt ihm ein hervorragender Spannungsaufbau. Hat man zu Beginn der Geschichte noch seine Mühe mit dem Protagonisten, identifiziert man sich immer mehr mit ihm, je weiter man in die Geschichte eintaucht. Jochen Rausch macht aus dem Verschwinden des Mädchens nicht nur ein spannendes Rätsel, sondern zeigt auch deutlich, was der unerklärliche Verlust eines geliebten Menschen mit den Zurückgebliebenen macht.
Der Autor Jochen Rausch wurde in Wuppertal geboren und arbeitet als Publizist für Zeitungen und Zeitschriften. Als Musiker produzierte er mehrere Schallplatten und CDs. Mit „Restlicht“ gelang dem heute 52-Jährigen im Jahr 2008 dieses lesenswerte Roman-Debüt.
Esther Gähler, Bibliothek Teufen
Köhlmeier, Michael. Idylle mit ertrinkendem Hund. – Wien : Deuticke, 2008.
(ISBN 978-3-552-06076-0) Auch als Hörbuch.
Poschmann, Marion. Hundenovelle. – Frankfurt M. : Frankfurter Verlagsanstalt, 2008.
(ISBN 3-627-00149-4)
Zweierlei Szenen mit Hund
Über Bären haben wir inzwischen lesen können, über Bärenjagd und Bärentod (Horst Stern 1989, Gerhard Falkner 2008). Katze und Kuh sind dauerhaft Heldinnen Schöner Literatur (seit E. T. A. Hoffmann und Hebbel über Luise Rinser und Beat Sterchi bis Elke Heidenreich). Jetzt ist's an der Zeit, den Hund als Handlungsträger auf den Schild zu heben: Hundeart, Hundedasein, Hundesterben. Zwar gibt's 'den hündischen Blick' auf Welt und Menschen ebenfalls seit langem (auch schon zur Zeit der Deutschen Romantik); aber der treue oder treulose, jedenfalls auf seine Weise wählerisch anhängliche Vierbeiner ist vergangenes Jahr – mit doppeltem Profil – Erzählfigur zweier bemerkenswerter Bücher geworden. Bücher wie Gleichnisse
Der Vorarlberger Schriftsteller Michael Köhlmeier und die Wahlberlinerin Marion Poschmann haben fast simultan Begegnungen und Umgang mit einem Hund berichtet, und zwar in der Ich-Form. Beide Bücher, sowohl die "Idylle mit ertrinkendem Hund" als auch die "Hundenovelle", berühren mit ihrer Schilderung menschlichen, bzw. tierischen Verhaltens die Parabel: als Gleichnis vom Retten beziehungsweise als Gleichnis vom Verlieren. Köhlmeiers Hauptdarsteller (die Ich-Figur) bleibt in unsrer Menschenwirklichkeit, wird jedoch, aufgrund seines Rettungs-Aktes, ein Held. Wird zeitweilig zum 'Helden vom Alten Rhein', denn da, am nahezu stillliegenden Wasserlauf, zur Winterszeit, spielt die titelsinnträchtige Episode mit dem Tier, das im Halbeis einbricht und ohne Zuwendung ertränke. Poschmanns Hauptdarstellerin (die Ich-Figur) gerät oder macht sich auf den Weg in eine Tierexistenz. Je weiter weg sie das zugelaufene und längerhin betreute Tier verliert, desto näher bewegt sie sich persönlich aufs Hündinsein zu. Die dramatische Rettungsaktion lang sind Köhlmeiers Protagonist und der Hund ein Paar – zum Buchschluss hin gehen sie, gewitzigt (?), ihrer Wege. Poschmanns Protagonistin hingegen und der Hund proben über Tage oder Monate ein nirgends begründetes Nebeneinander – vor dem Ende des Buches dann geht das Tier ein, ohne dass jemand Schuld trüge. Eine stille Stunde lang indessen gelingt den zweien Zweisamkeit, Harmonie, Gleichsinn: beim parallelen Schwimmen im sommerwarm brackigen Wasser eines Waldweihers. Beide Szenen also am Teich, im Wasser, in Abgeschiedenheit, wie sie nur Natur bescheren kann: das eine Mal lebensbedrohlich, das andere Mal elementar bergend, am Rand von Zeit und Zivilisation, den Abstand von Mensch und Tier aufhebend.
Rainer Stöckli, Gemeindebibliothek Reute
Bakker, Gerbrand. Oben ist es still ; übersetzt aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. - Frankfurt a.M. : Suhrkamp, 2008.
(ISBN 978-3-518-42013-3)
„Ich habe Vater nach oben geschafft“. So beginnt die Geschichte des wortkargen Ich-Erzählers Helmer van Wonderen. Jahrzehntelang wurde sein Leben auf dem Bauernhof im Waterland (Holland) von seinem Vater bestimmt. Nun beschliesst Helmer, die Zukunft selber zu planen. Nachdem er seinen bettlägerigen Vater samt Standuhr und dem Bild mit den schwarzen Schafen in den oberen Stock gehievt hat, beginnt er mit dem radikalen Räumen und Renovieren des Untergeschosses. Er streicht Wände und Böden mit frischen Farben und kauft ein neues Bett. Aber eine Veränderung gelingt nur scheinbar, denn die Wehmut ist er nicht los, genauso wenig wie seinen Vater. Der unerwartete Brief von Riet zwingt ihn, sich der unbewältigten Vergangenheit mit all der Trauer und den unerfüllten Träumen zu stellen. Riet war die Verlobte von Henk, seinem Zwillingsbruder, der vor 30 Jahren tödlich verunglückte. Obwohl Helmer der Erstgeborene war, sollte nach Vaters Wille Henk den Hof übernehmen, denn er war Vaters Lieblingssohn. Warum bin ich der, der ich bin?
Helmer hat in Amsterdam Literatur studiert, als das Schreckliche geschah. Er wagte es nicht, sich dem tyrannischen Vater zu widersetzen und nahm den Platz seines Bruders ein. Mittlerweile ist Helmer über 50. In seinem alltäglichen Leben zwischen Milchkühen, Texel-Schafen, Hühnern und Eseln tauchen jäh schmerzliche Erinnerungen auf. Unbedeutende Begebenheiten, wie die Nebelkrähe auf dem Baum vor Vaters Zimmer, werden zur Bedrohung. Die Sehnsucht nach dem Zwillingsbruder und der nie verwundene Verlust seiner zweiten Hälfte zwingen Helmer, sein Leben neu zu ordnen und die eigene Identität zu finden.
Die eigenwillig erzählte Familiengeschichte ist eine sehr präzise Betrachtung von Mensch und Natur und ein eindringliches Wiedergeben von Gefühlen und Abgründen. Mit seiner einfachen und direkten Sprache und seinem trockenen Witz nimmt der Autor den Leser, die Leserin gefangen und lässt sie teilnehmen am alltäglichen und doch ungewöhnlichen Leben des Helmer van Wonderen.
Der Autor Gerbrand Bakker
ist 1962 in Wieringerwaard, Holland, geboren. Er studierte niederländische Sprach- und Literaturwissenschaft in Amsterdam, arbeitete als Übersetzer von Untertiteln für Naturfilme und hat ein Diplom als Gärtner. Er ist Autor eines etymologischen Wörterbuchs der niederländischen Sprache und des Jugendbuches „Birnbäume blühen weiss“. „Oben ist es still“ ist sein erster Roman und war in den Niederlanden ein grosser Publikumserfolg. Er erhielt 2006 die beiden wichtigsten Preise für ein literarisches Debüt. Der Roman wurde für die Bühne adaptiert und wird in den Niederlanden verfilmt.
Elisabeth Siller, Bibliothek Herisau
Sendker, Jan-Philipp. Das Flüstern der Schatten. - München : Karl Blessing Verlag, 2007.
(ISBN 978-89667-296-4)
Paul Leibowitz, der Sohn eines amerikanischen Juden und einer Deutschen, hat sich nach dem frühen Tod seines Sohnes Justin auf die Insel Lamma vor Hongkong zurückgezogen. Die Ehe mit seiner Frau Meredith hat dem Schicksalsschlag nicht standgehalten. Meredith ist in die Hektik von London zurückgekehrt. Paul hofft, die Erinnerungen an Justin in der Einsamkeit vor dem Lärm der Welt zu schützen. „Er wollte unter allen Umständen verhindern, dass sich das Getöse der Welt auf seine Erinnerungen legte. Sie waren alles, was ihm von seinem Sohn geblieben war. Mit ihnen musste er bis zum Ende seines Lebens auskommen.“ Christine Wu, eine Hongkong-Chinesin, versucht Paul mit Liebe und Geduld aus seiner Isolation herauszureissen.
Da macht Paul die Bekanntschaft einer Amerikanerin, deren Sohn Michael Owen seit kurzem in China verschwunden ist. Owen ist, zusammen mit einem chinesischen Partner, Geschäftsführer einer Firma, die chinesische Autofirmen beliefert. Er ist nach einer Verabredung nicht mehr in seine Wohnung zurückgekehrt. Die Mutter bittet Paul Leibowitz um Hilfe bei der Suche nach ihrem Sohn. Ihre Verzweiflung berührt ihn zutiefst in seinem persönlichen Trauma. Sein einziger Freund, der chinesische Polizeikommissar David Zhang, beginnt auf eigene Faust zu ermitteln, da er um die Verflechtung von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik weiss. Und er bittet Paul um Mithilfe. Christine Wu aber nimmt ihm das Versprechen ab, sich aus allem herauszuhalten. Ihre Familie hat während der Kulturrevolution leidvolle Erfahrungen mit den chinesischen Behörden gemacht.
So ist Paul Leibowitz hin und her gerissen zwischen dem Bedürfnis nach Abgeschiedenheit, seinem Versprechen an Christine, dem Mitgefühl und nicht zuletzt seiner Freundschaft und Solidarität zu Zhang.
Jan-Philipp Sendker ist 1960 in Hamburg geboren. Er hat als Korrespondent jahrelang in China und Hongkong gelebt. Seine Kenntnisse hat er in den Roman einfliessen lassen. Sendker versteht es, sich in die einzelnen Personen hineinzuversetzen, seien sie Amerikaner oder Chinesen. Er zeigt psychologisches Einfühlungsvermögen gegenüber den zum Teil dramatischen und traumatischen Erlebnissen der Hauptpersonen. Die Schatten der Vergangenheit drängen immer wieder hervor und beeinflussen das Handeln des Einzelnen. Der Autor führt uns sowohl in die Abgründe des modernen Chinas als auch in die menschlichen Tiefen.
Am Ende des Romans „Das Flüstern der Schatten“ lässt Jan-Philipp Sendker Paul Leibowitz einen Brief an seinen verstorbenen Sohn Justin schreiben. Er endet mit den Worten: “Das Leben geht, wenn auch ganz anders, weiter, und das ist gut so. Es ist die einzige Antwort, die wir haben.“
Für alle, die – wie ich – das Buch mit Bedauern auf die Seite legen, hier eine gute Nachricht: Im August ist mit „Drachenspiele“ ein weiterer China-Roman mit Paul Leibowitz als Hauptperson erschienen.
Mariette Trachsler, Volksbibliothek Appenzell
Hosseini, Khaled. Tausend strahlende Sonnen. - Berlin : Bloomsbury, 2007.
(ISBN 978-3-8270-0671-4)
Der Roman handelt vom Schicksal afghanischer Frauen. Als die Sekretärin eines reichen Kaufmanns schwanger wird, verliert sie ihren Job. Der zukünftige Vater hat bereits vier Frauen. Er ist nicht gewillt, sie auch noch zu heiraten. Sie, eine selbstbewusste Frau, zieht das unehelich geborene Mädchen Mariam eigenwillig auf. Sie leben fortan als Ausgestossene am Rande der Stadt in einer armseligen Hütte. Auch Mariams Selbstwertgefühl wird schon frühzeitig im Keim erstickt. Die Mutter sagt ihr immer wieder, dass sie mit ihrem Status in dieser Gesellschaft niemand ist: "Das ist unser Los, Mariam. Das Los von Frauen wie uns. Wir müssen aushalten. Mehr ist nicht drin", resigniert ihre Mutter. Mariam lernt ihren Vater jedoch als liebenswürdigen und grosszügigen Mann kennen. Er besucht sie oft. Sie baut ein besonderes Verhältnis zu ihm auf. Sie glaubt ihrer Mutter nicht, wird aber schon bald eines Besseren belehrt.
Nach deren Selbstmord wird das fünfzehnjährige Mädchen von ihrem Vater möglichst weit weg verheiratet, an den dreißig Jahre älteren, wohlhabenden Schuhmacher Rashid aus Kabul. Mariam fühlt sich einsam und traurig. Sie passt nicht in diese Stadt. Aber wohin gehört sie? Was soll sie tun? Ihr Ehemann, stark mit islamitischen Traditionen verwachsen, zwingt ihr die Burka auf. Er hält sie wie eine Leibeigene. Nach mehreren Fehlgeburten bleibt die Ehe kinderlos. Rashid zeigt ihr seine Verachtung zum Teil mittels körperlicher Gewalt. Klaglos fügt sie sich ihrem trostlosen Schicksal: "entwurzelt, vertrieben und fehl am Platz".
Das Nachbarmädchen Laila, Tochter gebildeter Eltern aus Kabul, erleidet zwanzig Jahre später ein ähnliches Schicksal. Die Meldung, dass Lailas Brüder im Kampf gegen die russischen Besatzer umgekommen sind, macht ihre Eltern zu gebrochenen Leuten. Sie verliert ihre Eltern und ihren Jugendfreund Tarik. Als vierzehnjährige Frau hat sie kaum Chance, allein durchs Leben zu kommen. Sie ist froh, dass Rashid sich ihrer annimmt. Bald schon wird sie seine Zweitfrau. Nach anfänglicher Feindschaft finden die beiden nach der Geburt des ersten Kindes, einem Mädchen, zueinander. Laila schenkt einem zweiten Kind, dem sehnsüchtig erwarteten Stammhalter, das Leben. Er wird von seinem Vater über alle Massen verwöhnt. Dies ändert aber nichts daran, dass Rashid seinen Frauen freundlicher gegenüber treten würde. Mit seinen Wutausbrüchen demütigt er die beiden weiterhin. So unterstützen sie sich im Kampf gegen die Brutalitäten ihres gemeinsamen Ehemannes. Diese Not lässt die an sich so unterschiedlichen Frauen endgültig zu Freundinnen werden. Sie bereiten die Flucht vor. Diese misslingt. Lailas ständiger Ungehorsam und ihre Aufmüpfigkeit bringen den Mann schliesslich soweit, dass er sie umbringen möchte. Mariam kommt ihm aber zuvor. Sie ermöglicht so Laila und den beiden Kindern die Flucht zu Lailas Geliebtem nach Pakistan.
Die von Hosseini liebevoll und einfühlsam erzählte Geschichte, die sich über einen Zeitraum von mehr als dreissig Jahren erstreckt, zeigt auf, wie eng Menschen- und Frauenrechte miteinander verknüpft sind. Für uns unvorstellbar sind Gewalt und Erniedrigungen, welchen die afghanischen Frauen tagtäglich ausgesetzt sind. Trotz Wut und Hass leben sie von der Hoffnung auf eine bessere und Frauen achtende Zukunft.
Khaled Hosseini 1965 in Kabul geboren, lebt heute als Arzt und Autor in Kalifornien. Beide bisher erschienenen Romane (erster: Drachenläufer) zeugen dabei von einer tiefen Verbundenheit mit seiner verlorenen Heimat Afghanistan.
Barbara Büsser und Ruth Schoch, Bibliothek Schwellbrunn
Stroud, Jonathan. Valley : Tal der Wächter ; aus dem Engl. von Katharina Orgass und Gerald Jung. - München : cbi, 2009.
(ISBN 978-3-570-13493-1)
Ein Tal mit zwölf Familienstämmen, alle bewohnen in Eintracht das Tal, aus dem sie stammen. Waffen und Kriege sind verboten, denn aus dem Tal heraus können sie nicht. Schreckliche, mysteriöse Wesen, von allen Trolde genannt, bevölkern die Unterwelt und geben Nacht für Nacht all jenen einen grausamen Tod, die es wagen, einen Fuss ausserhalb des Tals zu setzen. Nur den zwölf Helden, den Urahnen jedes Familienstammes, ist es zu verdanken, dass die Trolde die Menschen nicht in ihren Häusern im Tal aufsuchen. Laut einer alten Legende stellten sich die mutigen Männer vor vielen Jahrhunderten mit der Gewissheit auf den Tod in einer letzten, grausamen Schlacht den Trolden und vertrieben sie für immer aus dem Tal. Nur die alten Hügelgräber auf der Talkuppe zeugen noch von den Ereignissen. Und der Legende nach stehen die alten Helden auch heute noch jede Nacht aus ihren Gräbern auf, um die Trolde vom Tal fernzuhalten.
Der junge Hal, aufmüpfig und unzufrieden mit seinem Dasein, lebt seit jeher in diesem Tal seiner Vorfahren. Gemeinsam mit seiner Familie führt er ein streng geregeltes Alltagsleben und sehnt sich im Grunde nur nach zwei Dingen: Freiheit und grosse Heldentaten vollbringen zu können.
Die Geschichten um die Grenze zu den Trolden und die Heldentaten seiner Vorfahren faszinieren ihn sehr, und gebannt hört er jeden Abend den Erzählungen seines viel herumgereisten Onkels Brodir zu. Immer öfters formt sich im kleinen Jungen der Wunsch, aufzubrechen und selbst eigene Abenteuer erleben zu können. Doch seine Familie bindet den Jungspund immer wieder in neue, eintönige Aufgaben ein, und der Alltag verläuft ereignislos…
Bis Hal auf einer Versammlung des Tales die kleine Aud kennenlernt, ein pfiffiges Mädchen aus dem Unterland, welches ihn von Anfang an in seinen Bann zieht und ihn mit ihrer frohen und lebenslustigen Art inspiriert. Zwischen den beiden entwickelt sich eine tiefe Freundschaft, und nach ihrer Abreise zurück in ihre Heimat ist bei beiden nichts mehr wie zuvor.
Schliesslich überschlagen sich die Ereignisse. Hal wird Zeuge am Mord seines geliebten Onkels Brodir. Die gerechte Strafe fehlt und wutentbrannt macht er sich auf den Weg zu Brodirs Mördern mit nur einem Ziel: Rache für seinen Onkel. Auf seiner Wanderung quer durch das ganze Tal lernt er vieles kennen; Freunde, Feinde, neue Landschaften, Erlebnisse und vor allem sich selbst. Langsam beginnt er zu begreifen, was für ihn wirklich zählt. Noch lässt er sich von seinem Vorhaben nicht abbringen. Und als er begreift, was für Dinge er ins Rollen gebracht hat, ist es bereits zu spät. Die Familien rüsten sich zum Krieg und sogar die Helden der alten Zeit müssen wieder neu erwachen… Und jetzt geht es um alles: seine Familie, sein Leben, seine Freiheit und vor allem seine grosse Liebe Aud.
Der Autor Jonathan Stroud, vielen bekannt durch die „Bartimäus“-Trilogie, hat es einmal mehr geschafft, eine spannende und fesselnde Story mit einer einzigartigen Erzählweise zu verknüpfen - ein lesenswertes Buch, das Jung und Alt in Bann zu ziehen vermag!
Melanie Eugster, Innerrhodische Kantonsbibliothek Appenzell
Andrić, Ivo. Das Fräulein ; übersetzt aus dem Serbokroatischen von Edmund Schneeweis. [Nachdruck.] – Frankfurt a.M. : Suhrkamp, 2003.
(ISBN 978-3-518-39989-7)
Erste Geschäftsfrau Sarajevos
„Du musst gegen dich und andere unbarmherzig sein. Spare immer und mit allem, und kümmere dich um nichts und niemand“. Dies sind die Worte, die Rajkas Vater seiner Tochter 1907 auf dem Sterbebett einschärft. Er, einst einer der angesehensten Geschäftsleute in Sarajevo, ist bankrott gegangen und kann diese Schmach nicht verkraften.
Die fünfzehn-jährige Tochter Rajka hält sich streng an diesen Rat. Sie nimmt sofort die Zügel in die Hand: Der herrschaftliche Haushalt wird minimiert, langjährige Bedienstete entlassen, üppige Empfänge sind Vergangenheit. Rajkas Mutter wehrt sich kaum.
Daneben zieht Rajka ein Geldleihgeschäft auf und beginnt mit Wertpapieren zu handeln. Bewusst empfängt sie ihre Klienten in ungeheiztem Raum und verweigert oftmals einen Kredit. Keiner kann sich erinnern, dass in Sarajevo je ein weibliches Geschöpf im Geldgeschäft tätig war. Bald ist sie verschrien als Halsabschneiderin und moderne Hexe.
Die Welt des Geldes nimmt sie gefangen. Sie träumt von der Million und unterdrückt erfolgreich alle menschlichen Regungen. Heiratskandidaten weist sie schroff zurück und auch Altersgenossinnen sind ihr immer gleichgültiger.
Von der Politik, so glaubt sie, hält man sich besser ganz fern. Als am 28. Juni 1914 in ihrer unmittelbaren Nähe Thronfolger Franz Ferdinand erschossen wird, wundert sie sich bloss über den grossen Tumult in den Strassen.
Die Kriegsjahre erlebt Rajka als lebhaften, seltsamen Traum. Vorerst spekuliert sie und macht Riesengewinne, spart und ist glücklich. Doch die Geschäfte beginnen stark zu schwanken, Schulden bezahlt bald niemand mehr und Rajka fürchtet sich auf der Verliererseite zu landen. Ein schrecklicher Traum vom Untergang des Geldes rüttelt sie auf.
Mit eigenartiger Faszination folgt der Leser der jungen Frau und erlebt die Nachkriegsjahre aus ihrer „Maulwurfperspektive“: Eigenbrötlerisch, starrköpfig und elend geizig wagt sie es, sich über Konventionen hinwegzusetzen. Sie wird reicher und einsamer und muss schliesslich nach Belgrad fliehen. Als sie jedoch dort dem jungen Ratko begegnet, ist sie bereit, ihre Prinzipien über Bord zu werfen.
Der Autor Ivo Andrić (1892–1975) studierte Philosophie, Slawistik und Geschichte in Zagreb, Wien, Krakau und Graz und verbrachte während des Ersten Weltkrieges als Mitglied der revolutionären Organisation Mlada Bosna ein Jahr in Haft. Andrić war Diplomat und Politiker und wurde 1963 als jugoslawischer Schriftsteller mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet. Das Fräulein entstand 1945 neben den zwei weiteren grossen Romanen Die Brücke über die Drina und Wesire und Konsuln.
Sabeth Oertle, Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, Trogen
De Robertis, Carolina. Die unsichtbaren Stimmen : Roman ; aus dem Englischen von Adeljeid Zöfel und Cornelia Holfelder-von der Tann. - Frankfurt a.M. : S. Fischer Verlag, 2009.
(ISBN 978-3-8105-0799-0)
„Die unsichtbaren Stimmen“ ist der erste Roman von Carolina De Robertis. Sie erzählt darin eine gewaltige Familiensaga über drei Generationen Frauenschicksale in Uruguay: Mutter, Tochter, Enkelin. Es beinhaltet das Leben dreier Frauen mit einem unbändigen Drang zu einem selbst bestimmten Leben. Die Mutter Pajarita hat nie schreiben gelernt, die Tochter Eva wird Dichterin und die Enkelin Salomé setzt für die Revolution Uruguays ihr Leben aufs Spiel. Drei willensstarke Charaktere vor den Farben, Geräuschen und Gerüchen Südamerikas, dargestellt in einer kraftvollen glänzenden Sprache, toll übersetzt und mit hohem Suchtfaktor.
Die Handlung ist chronologisch geschrieben und sie spannt den Bogen von der Zeit um 1900 bis heute. Alles beginnt mit einem südamerikanischen Wunder: aus einem Baum, aus schwindelnder Höhe, fällt ein kleines Mädchen. Man nennt sie Pajarita, „kleiner Vogel“. Sie stammt aus Tacuarembo, einem verschlafenen Nest am Rio Negro, nahe der brasilianischen Grenze. Pajarita heiratet einen italienischen Auswanderer und zieht mit ihm nach Montevideo, wo sie ihre vier Kinder grosszieht. Ihre einzige Tochter Eva geht „über den Fluss“ vom kleinen, rückständigen Uruguay nach Argentinien, findet ihre grosse Liebe und lebt als Dichterin in Kreisen der Bohème von Buenos Aries. Es die Zeit der Ära Peron, die kurze Blütezeit von Evita Peron, dann der Rutsch in die Diktatur. Eva und ihr Mann müssen alles zurück lassen und fliehen nach Montevideo. Später zerbricht die Ehe und Eva zieht die beiden Kinder Roberto und Salomé allein bei ihrer Familie gross. Es sind die 1960er Jahre, die Zeit der Revolutionen in aller Welt. Es ist die grosse Zeit von Fidel Castro und Che Guevara. In Uruguay kämpfen die „Tupamaros“ gegen die Militärdiktatur. Evas Tochter Salomé schliesst sich heimlich den Rebellen an. Sie wird bei Unruhen verhaftet und verschwindet für vierzehn Jahre ins Gefängnis. Sie bringt dort auch ihr einziges Kind Viktoria zur Welt, dass sie kurz nach der Geburt weggeben muss. Nach der Haft erholt sie sich im Montevideo der 1980er Jahre und findet nur langsam wieder ins Leben zurück. Der gigantische Schluss dieses Frauenromans ist gleichzeitig der Höhepunkt, aber auch hier ist es wieder die Sprache, in die den Leser in südamerikanische Klischees eintauchen lässt.
Dieser Roman erzählt nicht nur drei ganz ungewöhnliche Liebesgeschichten, er erzählt auch von Zauberei, Transsexualität, von Treue und Verrat, von dem Glück, sich in einer grossen Familie geborgen zu fühlen und immer wieder von der unbedingten Liebe einer Mutter zu ihren Kindern. Der Originaltitel „The Invisible Mountain“ spielt auf den „unsichtbaren Berg“ von Montevideo, der Hauptstadt Uruguays an. Der Legende nach rief der erste Europäer, der dieses Land erblickte „Monte, vide Eu“ (Berg, ich sehe dich). Aber hier gab es keinen Berg, nur eine leichte Anhöhe im Landesinneren. Der deutsche Titel „Die unsichtbaren Stimmen“ bezieht sich auf die Stimmen und Gesänge der Guarani, der indianischen Urbevölkerung Uruguays.
Carolina De Robertis ist 1975 geboren und entstammt selber einer uruguayischen Familie, wuchs aber in der Schweiz, England und in Kalifornien auf, wo sie heute noch in Oakland lebt. Schon als Kind sammelte Carolina De Robertis Geschichten. Als sie zwölf Jahre alt war, erzählte ihr Vater ihr alle ihm bekannten Geschichten über die eigene Familie. Carolina De Robertis ist mit diesen vierhundertsechzig Seiten ein echtes Meisterwerk gelungen und zeigt, was wirklich grosse Literatur ausmacht: sie verdichtet die Wirklichkeit und sie zeigt, dass das Leben eines Menschen nicht nur mit den Menschen in der Nähe, sondern immer auch mit seiner Umwelt, mit dem Land, den politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten verknüpft ist. Carolina De Robertis ist ohne Zweifel ein neuer Stern am Himmel der südamerikanischen Literatur. Sie verkörpert mit ihrer Sprache und ihrer Erzählfreude jetzt schon eine grosse literarische Stimme, von der wir hoffentlich noch lange hören werden.
Carolin Kugler-Müller, Bibliothek Wolfhalden
© Bibliotheken Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden